Die 6. Starparty

2.-4. September 1994 auf dem Hohberg in den Fribourger Alpen

Autobahn N1, irgendwo vor Bern, irgendwann am 2. September 1994. Scheibenwischer Stufe 3, Tempo ca. 100 km/h. Heftiger Regen prasselt auf das Auto nieder, die Sicht ist schlecht. Beruhigend versichere ich meinen Passagieren, dass bis jetzt an jeder Starparty auf dem Hohberg mindestens eine Nacht erfolgreich der Himmel beobachtet werden konnte. Zudem würde es auch sonst nicht langweilig bei schlechtem Wetter und überhaupt, schliesslich sei auch genug Bier im Keller

Feuchtkühler Auftakt

T-Shirt Motiv von 1994
Eine Kuh macht Muh, viele Kühe mache Mühe.

Bei der Ausfahrt Düdingen verlassen wir die Autobahn und die Strasse Richtung Schwarzsee wird unter die Räder genommen. Bei Zollhaus biegen wir ab nach Sangernboden. Dort hängt vor der Brücke noch kein Starparty-Wegweiser und so vermuten wir, dass der Begründer der Starparty, Peter Stüssi, noch nicht hier war. Um 17 Uhr, beim 1485 m.ü.M. gelegenen Chalet du Hohberg angekommen, haben wir die Gewissheit: Wir sind früh dran und ausnahmsweise die ersten. Also wird die Wartezeit genutzt, um eine kleine Erfrischung einzunehmen. Kurz darauf trifft Starparty-Mitorganisator Peter Kocher ein. Nach der Begrüssung beobachten wir gemeinsam gespannt die steile, eng gewundene Strasse welche zum Chalet hochführt, um zu sehen, wer wohl als nächstes kommt. Und tatsächlich, immer mehr Autos quälen sich zu uns empor, mit dabei auch Peter Stüssi. Die Gaststube füllt sich nun langsam mit altbekannten, aber auch neuen Starparty-Besuchern.

Das Schmidt-Chianti von Vinoscope.

Bernd Nies kündigt dann auch schon die Präsentation seines neuen Teleskops an. Mit viel geheimnisvollem Getue schleppt er ein mit Wolldecken verhülltes Gebilde herein und setzt es auf auf ein Dreibeinstativ. Die Decke wird entfernt und zum Vorschein kommt etwas, das eine grosse Ähnlichkeit mit einem Schmidt-Cassegrain in einer Gabelmontierung hat. Als erstes fällt die Tubuslackierung auf, sie ist weder orange noch dunkelblau, nein, auf einem himmelblauen Grund ranken sich kunstvoll gemalte Weinreben um das Rohr. Sogar eine Weinbergschnecke leuchtet lustig mit ihren LED-Augen. Bernd erklärt, es handle sich hier um ein «Vinoskop Schmidt-Chianti 8°» mit «fully multi-floatet advanced liquid optics» ausgestattet und einem Weinsammelvermögen 100x bei 6mm Gaumenöffnung. Am «Hahnenadapter 0.96"» könne Wein gezapft werden, was den Anwesenden nicht zweimal gesagt werden muss. Der angebrachte Sucher dient als Salzstengelhalter 6x200.

Alle warten auf Ruths leckere Spaghettis

So gerüstet können sich die Sternfreunde ausgiebig dem Small-Talk widmen, während schon ein Freiwilliger für den Kochherd Holz kleinhackt und in der Küche die Vorbereitungen für das Nachtessen anlaufen. Natürlich gilt unsere grosse Sorge dem Wetter, doch leider hat Petrus kein Einsehen, es regnet nämlich heftig.

Nach dem Apéro ist der Appetit angeregt, so dass alle froh sind, zu Tisch gerufen zu werden. Mit Geschnetzeltem und Reis gilt es zwanzig hingrige Mäuler zu sättigen. Manch einer vertilgt sogar eine zweite Portion weil es so fein schmeckt. Schon bald lernen wir das Portemonnaie immer in Griffnähe zu halten, denn aus organisatorischen Gründen werden Getränke und Essen jeweils direkt vom Überbringer einkassiert.

Alle warten weiterhin auf Ruths leckere Spaghettis

Wir sind jetzt alle satt, aber das Wetter hat sich in der Zwischenzeit nicht gebessert. Also bleiben wir in der guten Stube und diskutieren grüppchenweise über die verschiedensten Themen. Es klingt richtig international, man hört ausser Schweizerdeutsch noch Hochdeutsch, Französisch, Englisch und Holländisch im Gespräch. Die Anwesenden stammen aus den verschiedensten Kantonen der Schweiz, aus Deutschland und sogar die neuen Bundesländer werden würdig vertreten. Zu den Gesprächsthemen gehören astronomische Instrumente, Astrofotografie, Computer, CCD, das Olbers'sche Paradoxon, allgemeine Philosophierereien und vieles mehr.

Um halb elf Uhr regnet es nicht mehr, aber dicke Wolken verhüllen die Sterne immer noch. Heute wird es also endgültig nichts mit beobachten. und so begeben wir sich die meisten Sternkundler zu einer mehr oder weniger humanen Zeit in Morpheus' Arme.

Sonne über Ependes

King und Möpsli - die Starparty-Maskottchen

Einige Frühaufsteher, darunter auch Ruth Gartmann und die beiden Starparty-Maskottchen «King» und «Möpsli», tummeln sich an diesem Samstagmorgen bereits um acht Uhr munter in der Umgebung des Chalets herum. Das Gros der müden Astronomen kann sich aber erst etwas später aus den Schlummertüten schälen, gerade rechtzeitig fürs Frühstück à Diskretion.

Danach verbringen die Anwesenden den Tag auf verschiedene Weise. Einige machen kleine Wanderungen in der Umgebung des Chalets oder suchen Pilze. Peter Kocher schlägt eine Besichtigung der Volkssternwarte Ependes bei Fribourg vor. Er kann einige der Anwesenden, darunter meine Wenigkeit, dafür begeistern. Nach etwas mehr als einer halben Stunde Fahrzeit haben wir unser Ziel, die Sternwarte erreicht. Ich bin überrascht, wie gross der Bau von aussen wirkt. Nebst der klassischen Kuppel besteht es aus einem flachen Gebäudeteil mit abfahrbarem Giebeldach. Als erstes besichtigen wir den 150mm-Refraktor im Kuppelbau. Es ist ein wunderschönes, altes Instrument aus dem Besitz von Robert A. Naef. Der Tubus besteht aus Holz mit Messingbeschlägen. Die mechanische Nachführung, die wie ein Uhrwerk aufgezogen werden muss gibt ihre Kraft über eine Stange und Zahnräder an die Polachse ab. Zur präzisen Ablesung der Teilkreise dienen kleine, über den Skalen montierte Lupen. Durch den geöffneten Kuppelspalt scheint die Sonne, also montiert Peter den Objektivsonnenfilter und der Refraktor wird auf unser Tagesgestirn gerichtet. Ein paar schöne Fleckengruppen sprenkeln das Angesicht der Sonne. Die Details der Penumbra und die Granulation sind deutlich sichtbar.

Das Herschel-Newton von Lukas Howald
Sonnenbeobachtung mit Vixen 90M auf Superpolaris-Montierung

Nachdem wir uns sattgesehen haben, wird die Kuppel geschlossen und wir begeben uns in den Vorführungsraum, wo uns die umfangreiche Einrichtung erläutert wird. Danach geht es über eine Wendeltreppe zum neueren Teil des Observatoriums. Peter schiebt das Giebeldach, übrigens eine Holzkonstruktion, nach hinten. Die Mitte des Raumes dominiert ein Celestron C14 mit grossem Leitfernrohr auf einer massiven AOK-Montierung. In der vorderen Ecke des Raumes ist ein Coelostat, ebenfalls von AOK, installiert. Diesen richten wir auf die Sonne und steigen hinab, in den Raum unter dem Observatorium. Hier wird ein zwei Meter grosses Abbild der Sonne an die Wand projiziert, ein faszinierender Anblick. Das Ganze wird vom Summen der Vakuumpumpe untermalt, welche zwecks Verbesserung der Bildqualität das lange Rohr, durch das das Sonnenlicht nach unten geleitet wird, evakuiert. Auch hier sind viele Details sichtbar und die Anwesenden können sich kaum losreissen. Im gleichen Raum steht noch ein kleines Planetarium, welches wir ebenfalls ausgiebig besichtigen. Anschliessend führt uns Peter in einen der Öffentlichkeit nicht zugänglichen Raum. Er enthält die Bibliothek und diverse Computer. Viele Fotos zieren die Wände, darunter eine des Space Shuttles, von Claude Nicollier handsigniert. Den Abschluss der Führung macht die gutausgerüstete Dunkelkammer. Alles in allem eine tolle Sternwarte, in der es Freude machen muss, dem Publikum den Sternenhimmel näherzubringen.

Meade und Questar im Vergleich

Die beim Chalet zurückgebliebenen sind in der Zwischenzeit nicht untätig geblieben. Auf der Terrasse und vor dem Gebäude sind bereits diverse Instrumente in Stellung gebracht worden. Alle zielen auf den von Lukas Howald mitgebrachten künstlichen Stern, den er aus einer Laserdiode gefertigt und in etwa dreihundert Metern Entfernung installiert hat. Eine gute Möglichkeit, die verschiedenen Fernrohre unter identischen Bedingungen anhand der Beugungsscheibchen zu vergleichen, was natürlich zu viel Fachsimpelei Anlass gibt. Eine überzeugende Leistung für seine Grösse erbring Beat Fankhausers neuste Errungenschaft, ein kleines Questar, den meisten bisher nur aus der Werbung ein Begriff. Das Questar besticht durch eine saubere mechanische und optische Verarbeitung, aber auch durch seine hohe Portabilität. Das ganze Gerät samt Zubehör findet in einem kleinen Köfferchen Platz.

 

Flucht der Wolken

Cartoon: Heisshunger auf dem Hohberg

Über die vielen Aktivitäten des Tages macht sich gegen Abend bei allen wieder der Hunger bemerkbar. Diesmal sind es zum Nachtessen bereits 28 Bäuche, welche mit den traditionellen Starparty-Spaghetti à la Ruth zu füllen gilt - bisheriger Rekord! Trotzdem ist genügend für alle vorhanden, inklusive die zweite Portion für die besonders hungrigen.

Wieder rückt danach das Wetter in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses. Es regnet nicht, aber Wolken, Nebel und Wind lassen alle Möglichkeiten offen. Die Thurgauer Sterngucker trauen der Wetterlage nicht und fahren samt ihrem Lichtenknecker MPT 200 ab, ein Fehler, wie sich später herausstellt. Die meisten sind aber optimistisch und beginnen nichtsdestotrotz auf dem Weg unterhalb des Chalets die Instrumente aufzustellen. Innert kurzer Zeit entsteht ein imposanter Gerätepark bestehend aus diversen Newton-Teleskopen (bis 50cm Spiegeldurchmesser), Refraktoren, einem Schiefspiegler, einem Off-Axis Spiegelteleskop nach Herschel und anderen interessanten Instrumenten.

Lichtenknecker MPT 200 auf Baader-Montierung mit Schraubzwingen

Die Teleskope stehen, alles ist bereit, doch nur vereinzelte Sterne blinzeln durch Wolkenlöcher. Unsere Geduld wird auf die Probe gestellt. Alle blicken gespannt nach oben. Mit jedem Stern mehr, der sichtbar wird, wächst die Zuversicht. Kurz nach acht Uhr ist es soweit, wir können endlich beobachten! Diejenigen, welche kein Fernrohr mitgebracht haben, sind hauptsächlich bei den grossen und exotischen Instrumenten anzutreffen.

Der Besitzer des grossen 50cm-Dobson, Jochen Diefenbach, kommt kaum mehr dazu, selbst durch sein Gerät zu sehen, steht doch dauernd eine ungeduldige Schlange vor der Bockleiter, die zum Okular emporführt. Im 20mm-Nagler (mit Antibeschlags-Heizung) präsentiert sich zuerst M13. Ich stehe ungeduldig in der Schlange und muß mir die Aaahs! und Ooohs! der Glücklichen, die am Okular sind, anhören. Endlich, endlich, bin ich dran und erklimme vorsichtig eine Leiter. Der Anblick ist atemberaubend! Noch nie hatte ich Gelegenheit durch ein Teleskop dieser Öffnung zu schauen und kann mich vom Anblick kaum lösen, obwohl die Nachführung zu wünschen übrig lässt, denn der Tubus muss im «Do-it-yourself-Verfahren» direkt von Hand azimutal nachgeführt werden. Es ist mir unmöglich, diesen phantastischen Anblick im Detail zu beschreiben, man muss es einfach selbst gesehen haben. Ich stelle mich wieder hinten an die Wartenden. Jochen tauscht das 20mm-Nagler gegen ein 12mm-Okular desselben Typs aus. Diesmal habe ich den Eindruck, in nur hundert Lichtjahren Entfernung vor dem in Wirklichkeit ca. 25'000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen im All zu schweben! Wir geniessen in diesem Gerät die ganze Palette der bekannten Paradeobjekte, welche zur Zeit sichtbar sind. Der grosse und der kleine Hantelnebel, übrigens das schwächste Messier-Objekt, wie auch Saturn zeugen deutlich von der Leistungsfähigkeit des Geräts.

Das wunderschöne von Joachim Diefenbach gebaute 50cm Dobsonian

Mauro Gabrielis 150mm Kurz-Refraktor ist das typische Gerät zur Kometenjagd. Darum ist er natürlich auch auf den am 5. Juli entdeckten Kometen Nakamura-Nishimura-Machholz gerichtet. Der gut sichtbare Komet ist nahe am Perihel, daher ist bereits nach zehn Minuten eine Verschiebung vor dem Sternenhintergrund leicht erkennbar.

Der 110mm Herschel-Refraktor von Lukas Howald beeindruckt nicht nur durch seine schöne und überraschend leichte Holzkonstruktion, er liefert auch gestochen scharfe Bilder mit punktförmigen Sternen bis an den Bildrand. Ein hervorragend gelungener Eigenbau!

Ab Mitternacht ziehen sich einige Sterngucker in die warme Gaststube des Chalets zurück, während die Unentwegten weiterbeobachten, bis der geliebe der Aurora (Homer, 11. Gesang), nämlich Orion, über den Bergen emporsteigt. Der Vorrat von Bernds 8° Vinoscope scheint nicht enden zu wollen, obwohl wir immer ein volles Glas vor uns haben. Die lustige Runde hält es bis morgens um halb fünf Uhr aus.

Schlafmanko

Das Gästebuch dieser Starparty

Sonnenstrahlen und der Drang die Blase zu entleeren wecken mich am Sonntagmorgen. Mühsam bringe ich mich in die Lotrechte und lasse meinen verschlafenen Blick über die noch schlummernden Gestalten schweifen. Doch halt! Was liegt mir da gegenüber? Ist es Zorros Leiche oder gar ein Waschbär? Bolzengerade wie eine Mumie liegt Bruno Bleiker da, über den Augen eine schwarze Maske. In den Ohren hat er zusätzlich Schnarch-Absorber montiert, den Wehrdiensttätigen auch als Ohrenpfropfen bestens bekannt. Kein Wunder schläft er immer tief und fest wie ein Murmeltier! Nach diesem erheiternden Anblick bin ich wenigstens hellwach und schwinge mich aus den Federn.

Nach dem ausgiebigen Morgenessen, es wurde übrigens in zwei Schichten serviert, beginnen die Teilnehmer die Fahrzeuge für die Rückfahrt zu beladen. Es gilt schweren Herzens Abschied zu nehmen - von alten und auch neugewonnenen Freunden - mit dem Trost, dass wir uns spätestens an der nächsten Starparty wiedersehen!

Zum Schluss möchte ich im Namen aller Teilnehmer den Organisatoren Peter & Peter, sowie unseren Star-Frauen in der Küche, ein grosses Lob und Dank aussprechen, denn ihnen ist es zu verdanken, dass die 6. Starparty mit einer neuen Rekordzahl von insgesamt 35 Gästen ein voller Erfolg wurde!

(aus astro*sapiens 4/94, von Marcus Lurati)