Manchmal träumen Hobbyastronomen davon, mit Ihren Teleskopen im Weltraum zu beobachten – dort wäre die Sicht auf die Planeten und Sterne nicht beeinträchtigt durch unsere Atmosphäre. Können Träume wahr werden?
Wie jedes Jahr habe ich vor dem August-Neumond Wochenende die Wetterprognosen besonders häufig konsultiert. Bereits frühzeitig hatte ich meine 2-Tages-Revervation beim Auto-Vermieter „mobility“ gebucht, um vom 26. – 28. August an der 34. Starparty auf dem Gurnigelpass den Sternenhimmel zu beobachten und mit Gleichgesinnten über Teleskope und ferne Galaxien zu fachsimpeln.
Die Mittelfrist-Prognosen fünf Tage vor dem Anlass waren aber so deprimierend, dass ich als Alternative schon am 23. August auf den Klausenpass fuhr für eine private Beobachtungsnacht. Der Nachthimmel dort ist sehr dunkel (um 03:30 Uhr habe ich per Sky Quality Meter 21.68 mag/arcsec2 gemessen) und das Seeing war auch prima, was sich bei den grossen Planeten deutlich auszahlte. Mein Durst nach Sternenlicht war also drei Tage vor der Starparty bereits etwas gestillt und die Autoreservation wegen dem miesen Wetter bereits wieder annulliert.
Dann kehrte Freitagmorgen die Wetterprognose ins Positive und ich reservierte erneut ein Auto für Samstagnacht! Auf der Hinfahrt zum Gurnigel versprach die Meteoblue-Prognose nach der Gewitterfront am frühen Abend ein Aufklaren des Himmels nach ca. 22 Uhr. Die seeing-Prognose war mit 0.9 arcsec auch vielversprechend (wobei dort länger Wolken vorhergesagt wurden) – ich war gespannt! Bereits vor zwei Jahren hatte ich auf dem Gurnigel eine denkwürdige Planetennacht nach einem Gewitter erlebt. Während der Aufbauzeit war der Himmel wie erwartet bedeckt und über Thun ging noch ein Gewitter nieder. Einige trauten der Sache deshalb noch nicht ganz, aber schlussendlich waren über 30 Teleskope aufgestellt: etwa 10 aus der französischsprachigen Schweiz (inklusive ein 75 cm Spiegel), nochmals 10 visuelle, altbekannte Beobachter aus der Deutschschweiz und ein Dutzend Astrofotografen. Wie vorhergesagt und erhofft kam mit der Dunkelheit der klare Himmel. Der Rest der Nacht war sternenklar bis zum strahlenden Sonnenaufgang über dem Türstehäuptli (2031 m) um 06:48 Uhr.
Schon bei den ersten Blicken auf den weniger als 20 Grad über dem Südhorizont stehenden Saturn ging ein „oh, wow!“ über den Platz – der Planet stand mit seinen drei Ringen sehr ruhig am Himmel – also prima seeing! Als dann Jupiter später 40 Grad Höhe erreichte wurden unsere kühnsten Träume tatsächlich wahr: das seeing war traumhaft gut – fast wie beobachten im Weltall! Der Riesenplanet stand majestätisch ruhig da mit seinen strukturierten Wolkenbändern, (fast) ohne die geringste Bewegung wegen Luftunruhe. Seine vier Monde konnten wir aufgrund ihrer Scheibchendurchmesser schön nach ihrer Grösse und Helligkeit unterscheiden – Ganymed mit 5262 km oder 1.8 arcsec Durchmesser war deutlich grösser als Io (1.2 arcsec) und Europa (1.1 arcsec) und deutlich heller als der dunkle Callisto (1.6 arcsec). Der Grosse Rote Fleck (nicht mehr so rot und weniger gross als früher) war zwar nur bis Mitternacht auf der Vorderseite, aber durch das knackscharfe Bild waren auch danach zahlreiche kleine Details zu bestaunen. Zuletzt waren sich Martin Huwiler, Jonas Schenker, Kurt Felder, Christoph Portmann und ich einig: wir hatten in all den Jahrzehnten den Jupiter noch nie bei so sensationellem seeing beobachten können. Ein Traum wurde wahr. 😊
Natürlich waren wir nicht vorbereitet auf dieses top-seeing, versuchten aber trotzdem das Gesehene möglichst adäquat in Bildern und Videos festzuhalten, was bei Planeten bekanntermassen eine spezielle Technik („lucky imaging“ Videos) erfordert und nicht einfach ist. Martin Huwiler hat trotzdem ein feines Jupiterbild erstellen können und mein Video gibt einen Eindruck vom visuellen Live-Erlebnis am Okular mit dem Bino-Ansatz.
In so einer denkwürdigen Nacht mussten auch die weiteren, scharf definierten Planetenscheibchen von Neptun (2.4 arcsec), Uranus (3.6 arcsec) und Mars (9.5 arcsec) genauer inspiziert werden, wobei bei Mars schon etliche Strukturen sichtbar waren.
So ganz nebenbei war auch der Deep Sky Himmel nicht von schlechten Eltern mit gemessenen 21.58 mag/arcsec2 im Zenit um 04:20 Uhr. Die Luftfeuchtigkeit blieb die ganze Nacht mit über 90% sehr hoch und die Lufttemperatur sank nur unwesentlich von +12 auf +10 Grad C. Eventuell war diese stabile „Fast-Nebel“ Lage mit ein Grund für das super seeing? Im 75 cm Spiegel versuchten wir den Zentralstern im Ringnebel M57 zu erblicken, was aber nur einigen blickweise gelang.
Übrigens war auch die im Zenit (per Infrarot-Thermometer) gemessene Temperatur wegen der hohen Feuchtigkeit relativ hoch (-18 Grad C oder 28 Grad kälter als die Lufttemperatur). Auf dem Klausenpass hatte ich bei +9 Grad Lufttemperatur noch -25 Grad C im Zenit gemessen, bei nur 64% Feuchte.
Um 5:32 Uhr konnte ich dann noch ein helles Flare des Satelliten Starlink 1125 in den Zwillingen beobachten, kurzzeitig war dieses gleich hell wie die ISS, welche im Parallelflug daneben im Sternbild Luchs Ihren Überflug beendete – ein seltsamer Anblick. In der Morgensonne rieben wir uns nochmals die müden Augen, entweder nach einem kurzen Schlaf unter freiem Himmel, im Auto, im Zelt oder im Zimmer in der neu renovierten Gantrischhütte und fuhren dann freudig und mit unvergesslichen Eindrücken wieder Richtung Heimat. Bereits auf der Talfahrt vom Gurnigelpass holte mich der Nebel und die Wolkendecke ein, aber das war mir bei der gemütlichen Fahrt über den Schallenberg und durch das Entlebuch ganz recht so. Wenige Stunden später wurde der Entlebucher Joel Wicki in Pratteln zum neuen Schwingerkönig gekrönt.
Zu Hause habe ich dann meiner Frau vorgeschwärmt, wie traumhaft gut die Beobachtungsnacht gewesen sei und dass ich wohl in Zukunft Jupiter nie mehr so detailreich sehen würde. Daher könnte ich nun mein Teleskop an den Nagel hängen und das war‘s dann. Sie äusserte zu besagtem Nagel aber Ihre Zweifel und wird am Schluss wohl recht behalten. 😊 Ich freue mich schon auf die 35. Starparty im nächsten Jahr!
Roland Stalder, 30. August 2022